The Blue Castle - Helena Kehl

The Blue Castle - Helena Kehl

Termin

19.09.2025

The Blue Castle

Es war einmal eine Sozialbausiedlung namens Blue Castle, die in einer Zeit gebaut wurde, als Wohnen noch als soziales Recht galt. Damals lautete das Versprechen in Breddin, einem

kleinen Dorf in Brandenburg: „Ein neues Leben auf dem Land!“ Die Wohnungen waren funktional, gemütlich und erschwinglich. Die Fassaden schimmerten blau, die Garagen waren voll, das Leben war gemeinschaftlich organisiert. Die Menschen kannten sich. Sie halfen sich gegenseitig. Sie begegneten einander – ob sie wollten oder nicht.

Aber im Laufe der Jahrzehnte veränderten sich die Wünsche. Die Idee der gemeinschaftlichen Nachbarschaft wich dem Wunsch nach Rückzug, Privatsphäre und Selbstbestimmung. Die Bewohner*innen in Breddin zogen in Einfamilienhäuser mit großen Gärten. Dort schufen sie sich private Oasen: Swimmingpools, Gartenhäuschen, Sommerküchen. „Luxus“ hielt im privaten Bereich Einzug.

Und das Blue Castle? Es blieb stehen. Aber es entsprach nicht mehr den zeitgenössischen Vorstellungen vom Wohnen, die Bausubstanz verschlechterte sich, die Heizungsanlagen waren veraltet. Nach der Wiedervereinigung ersetzten neue Eigentümer die Fenster, aber nicht die Heizung. Niemand wohnte mehr dort, und das Gebäude stand leer. Als auch die Eigentümer verschwanden, versteigerte die Gemeinde das Blue Castle – für 20.000 Euro. Der Käufer zahlte nie. Und verschwand ebenfalls.

Seitdem gehört das Blue Castle offiziell niemandem mehr. Und inoffiziell gehört es all denen, die sich noch daran erinnern. Ein Ort im Schwebezustand. Rechtslage unklar, physisch präsent, emotionsgeladen. Was zunächst als Makel erscheint – die unklaren Eigentumsverhältnisse, der lange Leerstand – wird zu einer Ressource. Eine Architektur mit großem Potenzial. Offen für neue Geschichten, für neue Formen der kollektiven Raumgestaltung.

In naher Zukunft wird dieses heruntergekommene Viertel zu einem Ort, der neue Formen des öffentlichen Lebens in ländlichen Gebieten hervorbringt. Die Veränderung vollzieht sich in kleinen Schritten. Die Einwohner*innen von Breddin erobern sich das Blue Castle zurück. Sie bauen Swimmingpools im Garten, bauen Gewächshäuser, pflanzen Gemüse an und gestalten die Flächen. Pilates im Freien, Tauchwettbewerbe, Grillabende. Und im Erdgeschoss kehrt langsam wieder Leben ein.

So nehmen gemeinsame Wünsche nach und nach Gestalt an. Ein Spa mit Sauna, Whirlpool und Ruhebereich entsteht. Es wird eine Gemeinschaftsküche eingerichtet, die groß genug für Geburtstagsfeiern ist. Kuchen wird aus einem Fenster verkauft, und der Ort wird von Gemeindegruppen belebt und organisiert. Schließlich beginnt sich auch das Haus selbst zu verändern: Ein neuer Balkon und eine neue Treppe öffnen es nach außen, die oberen Stockwerke werden zugänglicher und lebendiger. Vom Garten bis in die oberen Stockwerke füllt sich das Gebäude – mit Leben, Zusammenkünften und dem Miteinander.

Das Blue Castle wird zu einer lokal verwurzelten Institution, einem Beispiel für eine neue Art von öffentlichem Raum. Ein wachsendes Projekt, gestaltet von all jenen, die es nutzen. Ein einst verfallener Ort wird zur Bühne für gemeinschaftliches Leben.

Und wenn es gelingt, wird es weiterleben –
nicht als Denkmal,
sondern als Raum für eine gemeinsame Zukunft.

Über die Preisträgerin

Helena Kehl ist eine deutsche Masterstudentin im Fach Raumstrategien an der Muthesius Kunsthochschule in Kiel. Zuvor studierte sie Architektur an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart, der TU Berlin und der Universidade Lusíada in Lissabon. Sie beschäftigt sich mit interdisziplinärer, kollaborativer Arbeit, erforscht Räume durch Storytelling und künstlerische Forschung und engagiert sich außerdem für den gemeinnützigen Verein Neckarinsel e.V.