Thomas Conchou: Interview mit Mira Mann

Thomas Conchou: Hallo Mira, vielen Dank, dass du zugestimmt hast, dich mit mir zu treffen und über deine monografische Ausstellung „Solo“ zu sprechen, die vom 14. Februar bis 5. April dieses Jahres in der Galerie DREI in Köln präsentiert wurde. Ich habe diese Ausstellung im Rahmen des Programms Rendez-vous besucht, das vom Büro für Bildende Kunst des Institut français Deutschland organisiert wird. Ich kannte deine Arbeit bereits und war beeindruckt von diesem neuen Ensemble kinetischer Skulpturen, von denen einige eifrig dabei waren, Tanzbewegungen nachzustellen. Ich dachte sofort an ein Konzept, das Elizabeth Freeman in ihrem Werk Time Binds: Queer Temporalities, Queer Histories (2010) entwickelt: Darin untersucht sie Performances, die Phänomene von historischer Kopräsenz unter dem Gesichtspunkt der „zeitlichen Verschleppung“ („drag temporel“) im Bewusstsein aktivieren, und bezieht sämtliche Konnotationen ein, die der Begriff „drag“ (schleppen) haben kann: Regression, Rückstand, Einfluss der Vergangenheit auf die Gegenwart, aber auch Kostüm, Verwandlung und Mobilisierung von Figuren. Sie macht auch deutlich, dass die Abweichung bei der Wiederholung Interpretationsräume in den Werken eröffnet. Hier jedoch gibt es keine Performer:innen im eigentlichen Sinne, sondern maschinenähnliche Baugruppen, die in eine sich wiederholende Bewegung versetzt werden. Mir stellt sich die Frage, was in diesen Werken arbeitet: sowohl vor dem Hintergrund der Geschichte dieser Motoren und mechanischen Teile, die einst in industrielle Produktionsketten integriert waren, als auch was die skulpturale Arbeit selbst und schließlich die Performance betrifft, die das Werk hervorbringt. Kannst du mir den Entwicklungs und Entstehungsprozess der Werke Poison Fan und Kosmobile (2025) schildern?

Mira Mann: Objekte, die aus einer anderen Zeit stammen, haben einen „Verschleppungseffekt“ im zeitlichen Sinne, aber sie werden auch selbst verschleppt, transformiert. Die Motoren, die ich verwendet habe, stammen aus einer Autowerkstatt in Döllnitz nahe Chemnitz, das früher in der DDR lag. Es handelt sich um Teile aus dem Trabant und dem Wartburg, den typischen Autos jener Zeit, die in der DDR produziert wurden. Sie sind bereits in einen Wiederverwendungsprozess integriert, denn diese Werkstätten arbeiten mit den Teilen, die noch aus dieser Zeit vorhanden sind und die sie auftreiben können. Natürlich sind einige Teile nur Nachbildungen, aber die Grundidee bleibt die des Recyclings.

TC: Waren es besonders diese Ersatzteile, die dich interessiert haben?

MM: Ja, diese Art von „affirmativer Nähe“ interessierte mich – zwei Welten aufeinander treffen zu lassen, die durch eine Vision des internationalen Sozialismus verbunden sind. Das faszinierte mich auch im Zusammenhang mit der Geschichte der Tänzerin Choi Seung-Hee (1911-1969), über die ich seit dem vergangenen Jahr recherchiere. Sie hat zahlreiche Epochen, politische Systeme und Kulturen miterlebt. Sie wurde in Korea geboren, hat Modern Dance in Japan studiert, ist auf Welttournee gegangen und hat in den USA Martha Graham getroffen. Man bat sie häufig, traditionelle koreanische Tänze vorzuführen, die sie gar nicht kannte. Sie kehrte daher nach Korea zurück, traf dort Lehrmeister für traditionellen Tanz und führte diese Kenntnisse in der ihr eigenen Praxis des Modern Dance zusammen. Sie wollte eine Art „orientalisches“ Gegenballett schaffen, eine panasiatische Fusion. Sie eignete sich auch Wissen über die chinesische Oper an und vermischte verschiedene Elemente, die sie nicht einmal unbedingt „richtig“ studiert hatte, jedoch für das westliche Publikum neu interpretierte. Sie führte Tänze auf, die von rituellen, schamanischen, bäuerlichen, folkloristischen und vielen weiteren Tänzen inspiriert waren – eine Reihe von Gruppentänzen, die sie in von der westlichen Bühnenkunst beeinflussten Solo-Formen präsentierte. Das Thema des Alleinseins auf der Bühne – diese westliche Obsession für einen einzigen Körper gegenüber einem gesamten Publikum – ist sehr präsent in ihrer Arbeit. Das ist im Übrigen auch der Grund, weshalb die Ausstellung den Titel „Solo“ trägt und die Frage stellt, ob es überhaupt möglich ist, etwas allein zu produzieren.

TC: Choi Seung-Hee hat auch in Nordkorea gelebt?

MM: Ja, nach der Trennung der beiden koreanischen Staaten ist sie ihrem Lebensgefährten, einem marxistischen Denker, in den Norden gefolgt. Dort gründete sie eine Tanzschule und entwickelte Gruppenchoreografien für die Bühne und den Film. Nach ihrer Solo-Phase war es eine Rückkehr zu einer kollektiveren Form. In diese Zeit fiel der Besuch von Chris Marker, der Nordkorea mit der Kommunistischen Partei Frankreichs im Rahmen eines kulturellen Austauschs bereiste und Tänzerinnen fotografierte, darunter Choi Seung-Hees Tochter Ahn. Einige dieser Bilder stammen aus dem Buch Coréennes, das mit all seinen Aufnahmen aus Nordkorea in der Cinémathèque française verwahrt wird.

TC: Deine Maschinen vollziehen also, angetrieben von Ersatzteilen aus DDR-Autos, von Choi Seung-Hees Vermächtnis inspirierte Tanzbewegungen.

MM: Es geht darum, Elemente aus verschiedenen Kontexten und Geschichten aufeinander treffen zu lassen, um eine neue Bedeutung herzustellen. Diese bruchstückhafte Erinnerung kommt jedoch einer Form der Melancholie gleich, ausgelöst durch eine sozialistische Ästhetik der Vergangenheit. Man spricht hierbei manchmal von Retroaktivierung: dem Wunsch, eine Zukunft, die hätte sein können, zu reaktivieren. Und auf diese Weise habe ich die verschiedenen Materialien zusammengetragen. Geschichte, Objekte, Gemeinschaften: Alles entstammt einem komplexen Netzwerk von Diaspora-Gruppen und Einzelpersonen. Selbst bei der Suche nach den Materialien habe ich es mir zunutze gemacht, dass kulturelle Objekte innerhalb der koreanischen Diaspora in Deutschland und Frankreich verbreitet und in Umlauf gebracht werden. Die Fächer stehen mit dem Fächertanz von Kim Baek-bong in Verbindung, einer berühmten Schülerin von Choi Seung-Hee. Es handelt sich um Fächer, die durch ihre intensiven Neonfarben besonders bunt sind und aus den 50er-Jahren stammen. Das ist nicht „uralt“, aber man betrachtet sie heute als neotraditionell. Die sogenannten „Geistermesser“, die in den schamanischen Performances verwendet werden, symbolisieren den Übergang zwischen Leben und Tod. Die Messer wurden mir beispielsweise von einem Lehrer für koreanischen Tanz in Paris gegeben und die Fächer von dem Verein Minjung Munhwa in Bochum, einer seit den 80er-Jahren bestehenden Initiative von koreanischen Gastarbeitern, die dazu dient, koreanische Musik und Tanztraditionen innerhalb der Diaspora zu praktizieren und weiterzugeben.

TC: Ich frage mich, wie es diesen Maschinen gelingt, dass man die kontinuierlichen Bewegungen so eindeutig mit dem Tanzen in Verbindung bringt.

MM: Die Bewegungen, die Zyklen, die Klänge sind zwar körperlos, behandeln aber den Körper. Es ging darum, eine Spur zum Leben zu erwecken, so als würde man versuchen, eine Erinnerung wieder lebendig werden zu lassen. Damit scheitert man zwangsläufig, denn das wird nie den echten Tanz ersetzen, aber es ist ein Bemühen, dessen Geist wieder aufleben zu lassen. Die Performances von Choi Seung-Hee waren vergänglich, ihr Werk ist kaum dokumentiert.

TC: Elizabeth Freeman spricht von erotohistoriography – darüber, auf welche Art Körper, Sinnlichkeit und Lust auch Orte der Erinnerung und Geschichte sind und es ermöglichen, historisch zu empfinden. Und ich finde, dass diese Maschinen einen sinnlichen Charakter haben, der eine historische Emotion ermöglicht. Was denkst du darüber?

MM: Das ist etwas, das insbesondere in der Arbeit von Choi Seung-Hee präsent ist und das ich faszinierend, irritierend und spannend zugleich finde: Sie schuf sehr sexuelle oder erotische Performances, die mit den Stereotypen der asiatischen Weiblichkeit spielten. Sie wurde manchmal mit einer koreanischen Josephine Baker gleichgesetzt, vor allem aufgrund der Performances zu Beginn ihrer Karriere, und bildete bestimmte Klischees ab, um sie besser entzaubern zu können, zum Teil mit Humor. Ich frage mich, ob sie aus diesem exotisierenden Blick Kapital schlug … Die Idee, das Stereotyp zu kontaminieren, indem sie es teilweise reproduzierte, interessiert mich sehr bei ihr. Meine Fächer sind knallig, kitschig, beinahe hässlich, zerbrechlich und künstlich: Auch sie machen Gender, Blick, Exotisierung, Bühne und Performance zum Thema.

TC: Du hast in deinen Installationen und in der Ausstellung für die Werke Autoskop und Solitary Dancer (2025) auch Sexspielzeuge verwendet.

MM: Ja, das stimmt. Der Sound der Ausstellung wird durch einen Gong (Solitary Dancer) und durch von Vibratoren aktivierte Radachsen (Autoskop) erzeugt. Jedes Werk hat einen Bewegungsmelder: Manche werden ausgelöst, sobald ein:e Besucher:in hereinkommt, andere hingegen schalten sich ab. Das ist eine Form von autonomer Performance. Ein Raum, der ohne Publikum lebendig wird. Das wirkt sich auch auf die Bewegung im Raum und auf den Körper der Besucher:innen aus. Mir gefällt die Vorstellung, dass der Rhythmus sie zum Tanzen bringt oder ihre Bewegung im Raum beeinflusst.

TC: Überhaupt nehmen manche Werke in deiner Arbeit produktive und performative Rollen ein (für den Sound, Bewegungen und sogar die Atmosphäre), während andere eher reine Ausstellungsstücke und passive Bühneninstrumente sind. Kannst du etwas über ihre Beziehungen zueinander sagen?

MM: Für mich handelt es sich bei den Spiegelwerken, von denen du sprichst, um Panoramen, Instrumente, die vor oder nach den Performances zum Einsatz kommen und erst von den Personen im Raum und dem Raum, der sie umgibt, aktiviert werden. Es stimmt, dass sie nicht über diese Eigenschaft verfügen, selbst annähernd zur Figur zu werden.

TC: Die Idee der Aktivierung kommt also häufig vor.

MM: Ja, unabhängig davon, ob es um Archive, Performances oder Instrumente geht, ist das ein wiederkehrendes Element in meiner Vorgehensweise. Ich bin eher im musikalischen Bereich als im Tanz ausgebildet und daher rührt vielleicht mein Interesse für die Geschichte von Choi Seung-Hee, denn so arbeite ich mit einer Kunstform, die sich mir nicht unmittelbar erschließt. Dieses Interesse für die Bühne und die Performance oder gar die Unterhaltung hängt auch mit der Performance von Gender, Race und sozialer Klasse zusammen. Das überschneidet sich mit meinem Interesse für den koreanischen Schamanismus, bei dem die Schamanen oft queere und Transpersonen aus den unteren Bevölkerungsschichten waren. Auch sie waren Performer:innen und hatten die Aufgabe, Geschichten zu erzählen. Heute sieht man, wie diese Tradition, Frauen zu Unterhaltungskünstlerinnen und Performerinnen zu erziehen – wie etwa im Fall der Kurtisanen (gisaeng) aus einfachen Verhältnissen, die den Mächtigen und der Bourgeoisie dargeboten werden –, weiter Bestand hat. Die Methode unterscheidet sich nicht wesentlich davon, wie K-Pop-Gruppen entstehen.

TC: Würdest du sagen, dass es einen Zusammenhang zwischen der Art, wie diese Personen zum Zweck der Unterhaltung ausgebildet wurden, und deinen Maschinen gibt, die in einer endlosen Wiederholungsschleife feststecken? Sind das beides Formen des Gefangenseins oder der Verstärkung der Geste?

MM: Ich komme häufig auf die Idee der Rotation und des Zyklus zurück, insbesondere beim Ton. Er bildet ein Element, das ich mit der Idee einer zyklischen Zeit verbinde. Bei den Maschinen mag ich es, dass diese Wiederholung körperlos ist, dass sie zwar Anleihen bei der Bewegung macht, aber vielmehr eine Atmosphäre, ein Gefühl, vielleicht sogar ein Gefühl der Bewegung schafft, das zu anderen Bewusstseinszuständen führt. Bezüglich der Analogie zwischen der Ausbildung von K-Pop-Stars zur heutigen Zeit und der von Kurtisanen früher kann man sagen, dass es sich eher um eine Studie zur Kommerzialisierung der Performance von Gender handelt, die ihrerseits auf Wiederholungen über die Zeit hinweg beruht.

TC: Könnte man bezüglich dessen, was sich als Positionalität der Rolle in deiner Arbeit bezeichnen ließe (die Sexspielzeuge werden zu Instrumenten, die Maschinen ersetzen die Körper und verleihen der Abwesenheit Gestalt), von einem Simulacrum sprechen? Der Begriff ist möglicherweise schon zu sehr in der psychoanalytischen Tradition verankert.

MM: Nichtsdestotrotz interessiere ich mich dafür. Nehmen wir etwa den Psychoanalytiker Donald Winnicott: der Raum zwischen dem Subjekt und dem Objekt oder wie sich ein Gefühl, ein Affekt auf ein Objekt auslagern lässt, das zu einem Akteur wird. Für mich ist das die Methode des Theaters: Mythen, Erinnerungen, Geschichten heranziehen, in Rollen schlüpfen und sie wieder abstreifen. Im koreanischen Schamanismus sind die Werkzeuge und Objekte Träger einer Bedeutung, die jenseits des historischen Erfordernisses für ihre Entstehung liegt: So stößt man heute im Rahmen dieser Praktiken etwa auf Hello-Kitty-Messer oder pikante Cheetos-Chips für Wärme und Energie.

TC: Vielen Dank Mira und bis bald.

MM: Ich danke dir.