Der Titel der Ausstellung, Schneckenprinzessin, spiegelt auch das starke Verlangen wider, im Subtext eine Vorstellungswelt der weiblichen Kraft anklingen zu lassen. Eine offene Anspielung an die Figur Tsunade aus dem Manga Naruto von Masashi Kishimoto, die im Japanischen auch „Namekuji Hime“ genannt wird und eine Frau mit unvergleichlicher physischer Stärke verkörpert. Bei dem Titel handelt es sich um eine deutsche Übersetzung, die auch im französischen Argot-Ausdruck „schneck“, der sich auf das weibliche Geschlechtsorgan bezieht, eine Bedeutung findet. „Schneckenprinzessin“ wird somit zu einem stolz auf die Fahne geschriebenen Titel, der das Frausein als Stärke proklamiert.
Die Nacktkiemer, die als Inspiration für die im Zentrum der Ausstellung stehenden Werke (Skulpturen, aber auch Plüschtiere) dienen, sind Meeresnacktschnecken. Ihren Namen haben sie ihren äußeren, freiliegenden Kiemen zu verdanken. Diese sind sowohl eines ihrer wichtigsten Organe als auch eine visuelle Warnung an ihre Fressfeinde, da sie in leuchtenden Farben erstrahlen, um Giftigkeit vorzutäuschen. Wie die landbewohnenden Nacktschnecken sind Meeresnacktschnecken Hermaphroditen. Lola Barrett arbeitet seit mehreren Jahren daran, diese intime Erzählform mit den Nacktkiemern als Alter Ego zu entwickeln. Diese utopische Kulisse zeigt, was nach der Abfolge von Hoch- und Niedrigwasser zurückbleibt. Wir befinden uns in einer fiktiven und postapokalyptischen Zukunft: Weiche, glänzende, schimmernde Körper liegen erstarrt auf dem Boden, zwischen wogenden, luftgefüllten Algen, die aus synthetischen Stoffen zusammengesetzt sind, wie um die früheren Totems des fossilen Zeitalters zu verspotten.
Les Vitrines verwandeln sich in ein Diorama oder Aquarium und fungieren als gläsernes Zuhause für die neuen Bewohner:innen der Biosphäre, die sich weder so ganz dem Festland noch der Tiefsee zuordnen lassen, sondern vielmehr von jeglicher biologischer Kategorisierung in durch ein Fortpflanzungsbedürfnis zur Selbsterhaltung gekennzeichnete Gattungen ausgenommen sind. Durch die Wellen, die sich jahrhundertelang immer weiter ins Landesinnere fraßen, gelangte der Meeresgrund an die Oberfläche.
Lola Barrett, geboren 1993 in Paris, lebt und arbeitet in Brüssel und Paris. Im Rahmen ihres ersten Masters in Medien, Design und zeitgenössische Kunst an der Universität Paris 8 widmete sie ihre Forschungsarbeit der Klanglandschaft, dem städtischen Raum und den anthropologischen Bezügen zum Klang im öffentlichen Raum. 2021 absolvierte sie einen zweiten Master in Spekulativer Narration an der École de Recherche Graphique in Brüssel und entwickelte dabei einen videografischen und bildhauerischen Ansatz. So veränderte sich ihr praktisches Arbeiten vom Klanglichen hin zum Visuellen, woraus lebendige Werke und multisensorische Installationen hervorgingen.
Im Bereich der plastischen Arbeiten beschäftigt sich Lola Barrett mit Fragen der Lebenswelten von Lebewesen und damit, wie diese sich untereinander beeinflussende Beziehungen herstellen: zwischen dem Lebendigen und dem Nichtlebendigen ebenso wie zwischen dem Gebiet und seiner historischen Narrativität bis hin zu der Art, wie die Menschheit sich dieser bemächtigt. Ihre Werke bestehen aus lauter Elementen, die sich zu Szenen zusammensetzen, in denen sie die Geschichten verkörpert, die sie erzählt. Alles ist eine Frage der Kulisse, jedes der gefertigten Stücke gibt einen Teil der Erzählung preis und stellt gleichermaßen selbst ein vollwertiges plastisches Kunstwerk dar.